Im Land von Eis und Feuer

In der arktischen Wüste Islands mit meterdickem Eis und Vulkangestein kommt man mit herkömmlichen Fahrzeugen nicht weit. Daher vertraut Pionier Addi Hermannsson auf umgebaute MAN-Lkw, um Touristen den zweitgrößten Gletscher des Landes zu zeigen.

Im Land von Eis und Feuer
In der arktischen Wüste Islands mit meterdickem Eis und Vulkangestein kommt man mit herkömmlichen Fahrzeugen nicht weit. Daher vertraut Pionier Addi Hermannsson auf umgebaute MAN-Lkw, um Touristen den zweitgrößten Gletscher des Landes zu zeigen

Autorin | Yasmine Sailer

Fotos | Dirk Bruniecki, Arnar Thor

Eigentlich begann alles mit dem „Glacier Girl“. Dieses im Zweiten Weltkrieg auf einem grönländischen Gletscher abgestürzte Flugzeug wurde 1992 in einer aufwendigen Aktion geborgen. Mit dabei: der isländische Abenteurer Arngrímur Hermannsson. Auch die spätere Bergung der sieben Schwesterflugzeuge sollte Hermannsson leiten und suchte dafür nach starken Fahrzeugen, die in der Lage wären, die Wracks aus dem Gletscher zu ziehen. Am Ende fehlte zwar das Geld für die 
Rettungsaktion, doch die Fahrzeuge kaufte Hermannsson trotzdem – und fährt heute Touristen mit drei umgebauten MAN-Lkw auf den zweitgrößten Gletscher Islands. 


Abenteurer und Held

Arngrímur Hermannsson, der von allen nur „Addi“ genannt wird, ist das, was man einen Pionier nennt. Die Bergung des „Glacier Girl“ ist nicht das einzige Abenteuer des 62-Jährigen. Als 18-Jähriger rettete er Verunglückte aus Gletscherspalten, in den 1970ern durchquerte er Island auf Ski und war schließlich der Erste, der einmal komplett mit einem Allradfahrzeug durch Grönland fuhr. Sein neuestes Projekt ist „Into the Glacier“, eine Tour auf den Langjökull, einen Gletscher im Westen Islands. Seit Juni 2015 bringt Addi Touristen durch unwegsames Gelände, Schnee und Eis dorthin, wo sie selbst nie hinfahren könnten. Eine Geschäftsidee, die ankommt: 50 000 Besucher haben bereits an einer „Into the Glacier“-Tour teilgenommen.
Auch heute sind die drei Touren komplett ausgebucht. Eine Gruppe Schüler aus Großbritannien, Familien, Rentner und junge Pärchen aus Deutschland, Kanada, China, Indien und den USA – sie alle wollen auf den Gletscher, trotz Minusgraden und eisigem Wind, der heute weht. Dick verpackt in Anoraks und Schneeanzüge, klettern sie in die Trucks, die hinten einen Busaufbau haben. „Die MAN sind als Busse registriert“, erzählt Addi, „obwohl sie natürlich eigentlich Lkw sind, ehemalige Militärfahrzeuge der NATO.“ Die Gefährte sind spektakulär, drei Meter breit, vier Meter hoch, fast 
14 Meter lang und mit Reifen, die selbst dem 1,90 Meter großen Addi bis zur Brust reichen. Sie wurden genau wie der Aufbau nachträglich montiert. „Das waren aber die einzigen Modifikationen. Das MAN-Chassis ist original – und das ist wirklich bemerkenswert“, erklärt Addi.

Unwirkliche Umgebung

Addi klettert hinters Lenkrad, und die Fahrt geht los, zuerst recht harmlos auf einer asphaltierten Straße, die zwischen niedrigen Sträuchern hindurchführt. Doch schon nach einem Kilometer weicht die Vegetation zurück, und der Blick öffnet sich auf eine Landschaft, die wie von einem anderen Planeten wirkt. Dunkles Lavagestein und schroffe Felsen bedecken den Boden, und in der Ferne ragt der schneebedeckte Gletscher empor – hier wird klar, warum Island auch „das Land von Eis und Feuer“ genannt wird. Der Weg, den Addi nun einschlägt, ist alles andere als eine Straße: Sand, große Steine, Geröll und sogar ein Flussbett mit Wasser muss er mit seinem Truck überwinden. Die Passagiere merken davon nichts. „Es rumpelt weniger als in einem normalen Bus“, sagt Karen aus Kanada, die mit ihrer Nichte Nyssa eine Islandreise macht. Der Grund für den Komfort sind die acht Reifen, deren Luftdruck bei Bedarf angepasst werden kann. Mit einer Smartphone-App steuert Addi ein System, das Luft aus den Reifen lässt oder sie wieder aufpumpt, je nachdem, auf welchem Untergrund er gerade fährt. Entwickelt hat er das System für das Fahren auf Schnee und Eis – was offensichtlich wird, als der Lkw den Aufstieg zum Gletscher beginnt. Kraftvoll nimmt das 20 Tonnen schwere Fahrzeug die Steigung, und die weichen Reifen lassen es auf dem Schnee gleiten wie auf Ski. „Die Reifen sind das eine, aber mindestens genauso wichtig sind der Wandler und die Differenzialsperre. Und der kraftvolle Motor. All dies ist nötig, um auf den Gletscher zu fahren“, sagt Addi. Das Wandlergetriebe sorgt dafür, dass er auf dem glatten, steilen Untergrund ohne Zugkraftunterbrechung anfahren kann, der direkte Kraftschluss zwischen Motor und Getriebe hält die Drehzahl im grünen Bereich. Auch die Differenzialsperre, die beide Ausgangsachsen aneinander koppelt, erleichtert das Fahren in dem schwierigen Gelände. „Wir sind jetzt bei 15 Stundenkilometern – das ist recht schnell, wenn man bedenkt, dass wir auf einer sechs Meter dicken Schneedecke fahren“, informiert Addi die Passagiere über das Mikrofon.

Auf und in dem Gletscher

Auf 1 300 Metern über dem Meer angekommen, steigen die Fahrgäste aus um den Blick über Westisland zu genießen und einen Tunnel zu besichtigen, der sie tief in den Gletscher hineinführt. Der Tunnel ist das Highlight der „Into the Glacier“-Tour. Mit einer Länge von 550 Metern und einer Tiefe von 40 Metern unter der Gletscheroberfläche ist er der größte Tunnel dieser Art weltweit. „Für unsere Gäste ist es ein Abenteuer, einen Gletscher von innen zu sehen“, erklärt Hjalti Rafn Gunnarsson, Marketingmanager von „Into the Glacier“. „Die MAN-Trucks sind die Fahrzeuge, die ihnen dieses Erlebnis ermöglichen. Mit ihnen können wir das ganze Jahr über, bei jedem Wetter auf den Gletscher fahren.“ Und das Wetter kann in Island sehr extrem sein. „Hier in der Gegend wurde vor ein paar Jahren die Serie ‚Game of Thrones‘ gedreht. Die Crew war mit 60 Pkw draußen, als ein großer Sturm aufzog. Sie riefen mich an, und ich sammelte die 200 Leute mit meinem MAN auf“, erzählt Addi. Für ihn gibt es kein schlechtes Wetter, genauso wenig wie für seine Trucks: „Die sind die Extreme gewohnt.“ Das bestätigt auch Björn Erlingsson, CEO des isländischen MAN-Importeurs Kraftur. „Wir haben die Trucks von Addi alle drei Monate zum Service bei uns, und sie sind in einem Topzustand, vor allem wenn man ihren harten Einsatz bedenkt.“ Auch die 22 Liter Diesel, die Addi pro Stunde verbraucht, sind gemessen an diesen Bedingungen nicht viel.
Nach der Rückfahrt reinigt das Team die Fahrzeuge, und Addi prüft den Wetterbericht. Der ohnehin schon starke Wind hat sich zu einem Orkan ausgewachsen, morgen wird es keine Tour geben. „Die Trucks halten das locker durch, aber für die Gäste wird es dann nicht so gemütlich“, sagt Addi. „Und es soll ja nicht nur für mich eine Freude sein, mit dem Truck zu fahren“, fügt er augenzwinkernd hinzu.

Erleben Sie in diesem Video eine Gletschertour mit Addi und seinem MAN in Island