Der Meister-Privatier

„Euer Weg zum Titel hat bei uns begonnen. Wer weiß, wie es gekommen wäre ohne euer Vorbereitungsspiel bei unserem TSV Kottern, den wir unterstützen?“ Mit einem Scherz empfängt Harry Unflath den Meister-Trainer zur Führung hinter die ABT Kulissen in Kempten. Dann überreicht er Veh ein Foto, das ihn im Sommer 2006 zeigt, auf der Bank neben dem damals neuen VfB-Teammanager und Ex-Profi Horst Heldt, als der VfB Stuttgart in der Kotterner ABT Arena Station machte, zum Testspiel gegen die Bayernliga-Mannschaft des TSV. „Ganz entscheidend für die Meisterschaft, ohne das Spiel in Kottern hätten wir nie eine Chance gehabt! Das war die Initialzündung!“, nimmt Veh laut lachend den Ball auf. Und staunt: „Wie jung wir damals waren! Ob die Spieler auf mich gehört hätten, wenn damals schon jeder ein Smartphone gehabt hätte und Social Media so präsent gewesen wäre wie heute? Ganz sicher wäre die Kommunikation untereinander und die Konzentration anders gewesen. Und der Zusammenhalt wohl auch nicht so stark, wie er war.“

Khedira, Gomez, Hitzlsperger - alles Veh-Schüler

Veh hatte damals die Stuttgarter Mannschaft neu zusammengestellt, es war die jüngste der gesamten Liga. Sami Khedira, Mario Gómez, Pável Pardo, Fernando Meira, Thomas Hitzlsperger, Cacau und Timo Hildebrandt, um nur einige zu nennen, wurden beim VfB zu Titel-Helden und einige später noch viel mehr.

Veh sinniert: „Ich hatte in meiner Karriere viele tolle Spieler in meinen Mannschaften. Spannend, was aus manchen geworden ist: Khedira sogar Weltmeister, Gómez ist jetzt bei Red Bull Direktor. Bayern-Trainer Thomas Tuchel habe ich mal ein paar Spiele in Augsburg eingesetzt und Heidenheim-Trainer Frank Schmidt, ein feiner Kerl, war mein Spieler in Fürth.“

„Wir waren 2007 sogar beim VfB auf der Geschäftsstelle zu Besuch, haben im Spaß versucht, die Schale zu stibitzen“, erinnert sich Unflath. „Und fünf Monate später sind wir selbst wieder Meister geworden, in Hockenheim.“ Dann will er wissen: „Siehst du Parallelen zwischen Fußball und Motorsport? Die Spieler sind ja heute auch gläsern, die Trainer kriegen von Spezialisten immer mehr Daten über Fitness und Leistungen.“ Veh überlegt kurz und antwortet dann: „Ich glaube, dass das im Rennsport noch viel mehr ist, schon der Technik geschuldet. Aber letztendlich geht es doch immer um Menschen. Um den Fahrer, um den Spieler. Es geht darum, die Daten auch richtig einzuordnen. Und es geht um Menschenführung. Die Führung einer Mannschaft ist immer dafür entscheidend, ob du Erfolg hast. Und es wird trotzdem im Rennsport nicht anders sein als im Fußball: Geld schießt und verhindert Tore oder gewinnt Rennen – normalerweise.“

Grosse Lebenserfahrung, ähnliche Ansichten

Damals, beim Freundschaftspiel des VfB Stuttgart in Kottern, sind sich Veh und Unflath eher flüchtig begegnet. Der Kontakt und damit die Idee zum Gastspiel des VfB in Kempten war 2006 über die Freundschaft zwischen dem heutigen ABT CEO Thomas Biermaier und dem damaligen Stuttgarter Sportdirektor Jochen Schneider (heute Red Bull New York) entstanden. Doch jetzt, beim ersten direkten Austausch, ist sofort zu spüren: Unflath und Veh liegen auf einer Wellenlänge. Fast derselbe Jahrgang (1961 und 1962), große Lebenserfahrung und ähnliche Ansichten. Sie sprechen die gleiche Sprache, sogar im Wortsinn. „Wir können schwäbisch schwätzen“, sagt Unflath. „Wie uns der Schnabel gewachsen ist. Ich bin ja fast noch Allgäuer“, gibt der gebürtige Augsburger zurück. Zwei Männer, die sich auf Anhieb gut verstehen. Und noch so manche Gemeinsamkeit entdecken an diesem Tag. „Ich bin beeindruckt von der Professionalität und Leidenschaft, mit der du mir die vielen Details und Hintergründe erklärt hast, von denen man gar nichts ahnt, obwohl ABT mir natürlich schon lange ein Begriff ist“, sagt Veh, als er und Unflath beim ABT Stamm-Italiener Claudio Parinello in Kempten zu Mittag essen. Beide bestellen Pasta – Veh extrascharf.

Stuttgarter Titel ein echter Coup

Die Stuttgarter Meistersaison 2006/2007 war sein größter Erfolg. Wie groß, wird im Rückblick besonders deutlich. Seit der Jahrtausendwende gab es 24 Deutsche Fußballmeister. Außer 18-mal der FC Bayern waren dies: dreimal Borussia Dortmund (2002, 2011, 2012), je einmal Werder Bremen (2004) und der VfL Wolfsburg (2009) sowie eben 2007 Vehs VfB. 

Beinahe hätte es auch noch zum DFB-Pokalsieg gereicht. Doch das Finale in Berlin verlor der Favorit gegen den 1. FC Nürnberg mit 2:3 nach Verlängerung. Nicht nur den „Äbten“ Hans-Jürgen Abt und Thomas Biermaier, die live vor Ort waren, ist dieser Final-Thriller in Erinnerung geblieben. Auch Armin Veh erinnert sich noch genau, vor allem an die zwei spielentscheidenden Szenen: „Wir waren die bessere Mannschaft, obwohl wir 90 Minuten in Unterzahl gespielt haben, nachdem Cacau nach einer halben Stunde Rot bekommen hatte. Wir waren näher dran – und dann traf einer aus 30 Metern, der drei Jahre beim Club kein Tor geschossen hatte.“ Lachend schiebt er nach: „Schade, sonst hätte ich auch das Double geholt – dank Kottern!“ Sein eigener Blick auf das Triumph-Jahr 2007 ist aber nicht nur wegen dieser Finalniederlage differenziert. „Es war natürlich etwas Besonderes, weil die Meisterschaft mit dem VfB in der Öffentlichkeit viel mehr wahrgenommen worden ist als meine Meisterschaften vorher. Ich war schon Meister geworden mit Augsburg in der Bayernliga und aufgestiegen in die Regionalliga. Genauso mit Reutlingen und Greuther Fürth, und mit beiden in die 2. Liga aufgestiegen. Das waren Erfolge, die für mich persönlich genauso wertvoll sind wie der Titel mit dem VfB“, sagt er. Auch der Bundesliga-Aufstieg 2012 mit Eintracht Frankfurt inklusive Durchmarsch in den Europapokal war ein Verdienst Vehs.

Wegbereiter für den FCA

Armin Veh kennt den deutschen Fußball in allen Facetten; der gelernte Immobilienkaufmann war Spieler, Trainer, Manager, Geschäftsführer. Natürlich hat er auch Misserfolge erlebt in seiner langen und bewegten Karriere, Entlassungen, Rücktritte und Wechsel aus eigenem Antrieb. „Ich habe selten längere Verträge gemacht als Jahres-Verträge. Ganz einfach, um frei entscheiden zu können, ob es gut ist oder nicht mehr“, verrät er an diesem Nachmittag: „Mehr Sicherheit wollte ich nie. Wichtig war mir immer: Wo kann ich am besten arbeiten, wo gibt es die beste Perspektive, die besten Bedingungen.“

Ein exzellenter Netzwerker war und ist Freigeist Veh zudem. „Investor Walter Seinsch habe ich damals nach Augsburg gelotst“, erzählt er. „Wir waren mit Reutlingen in der 2. Liga, und er wollte eigentlich dort einsteigen. Das ging dann nicht, weil er seitens der Stadt das Stadion nicht bauen durfte. Da habe ich ihm gesagt: ‚Gehen Sie zum FC Augsburg, die sind in der 4. Liga, das ist mein Heimatverein in meiner Heimatstadt.‘ Das war ein Glücksfall für den FCA, sonst wären sie nie dahin gekommen, wo sie heute sind, seit zwölf Jahren in der Bundesliga.“

Veh und Matthäus - Eine Dauerfreundschaft

Veh selbst erschien 1979 erstmals in der höchsten deutschen Spielklasse. Vom FC Augsburg wechselte der technisch hoch veranlagte 18-Jährige zu Borussia Mönchengladbach. Die „Fohlen“ waren damals unter Trainer-Legende Udo Lattek ein europäisches Spitzenteam und hatten gerade zum zweiten Mal den UEFA-Cup (heute Europa League) geholt. Jetzt übergab Lattek an seinen erst 34-jährigen Co-Trainer – einen gewissen Jupp Heynckes. Es war dessen erster Job als Cheftrainer und der Beginn seiner Weltkarriere. Doch damit nicht genug: Zeitgleich mit Veh kam ein anderer 18-Jähriger zur Borussia, vom FC Herzogenaurach aus Franken. Sein Name: Lothar Matthäus.

Es ist nicht vermessen zu sagen, dass Heynckes den Spieler und sicher auch den späteren Trainer Veh prägte. Die Geschichte mit Matthäus aber ist womöglich noch bedeutsamer. Nicht zuletzt, weil sie außergewöhnlich ist im Profigeschäft. „Wir waren beide Mittelfeldspieler, also Konkurrenten“, erzählt Veh im Gespräch mit Unflath. „Lothar war einfach weiter als ich. Er brachte die Aggressivität an den Tag, die mir gefehlt hat. Damals aber, mit 18, habe ich nicht verstanden, dass er spielt und ich nicht, weil ich der bessere Fußballer war.“ Veh schmunzelt: „Trotzdem: Wir haben damals viel geteilt und gemeinsam erlebt, haben uns trotz aller Rivalität gut verstanden. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Einmal habe ich ihm damals mein neues Auto geliehen, einen BMW Alpina. Was soll ich sagen: Aquaplaning, er hat ihn an die Leitplanke gesetzt. Na und? Mir war nur wichtig, dass ihm nichts passiert war. Ein Auto kann man neu kaufen. Es ist zwischen uns eine tiefe Freundschaft entstanden. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann ich mich noch heute auf ihn verlassen und umgekehrt.“

Dabei trennten sich ihre Wege als Spieler schicksalhaft. Veh musste seine Karriere auf höchster Ebene früh beenden. „Ich hatte mit 24 einen Verrenkungsbruch, Schien- und Wadenbein kaputt, der Fuß lag abgeknickt auf der Seite. Danach habe ich das Niveau nicht mehr erreicht.“ Mit nur 29 Jahren beendete Veh seine aktive Laufbahn endgültig – 1990 war das, als Matthäus die deutsche Mannschaft in Italien zum Weltmeistertitel führte. Seit nunmehr 44 Jahren hält ihre Freundschaft.

Harry Unflath nickt: „Ich weiß, wie unglaublich wertvoll so etwas ist. Seit 38 Jahren bin ich jetzt beim Familien-Unternehmen Abt. Und meinen Chef Hans-Jürgen Abt kenn ich noch viel länger. Er ist auch mein bester Freund. Wir sind zusammen groß geworden, haben früher zum Beispiel schon gemeinsam Eishockey gespielt in Oberstdorf und Kempten.“ Veh macht große Augen: „Ach was!? Ich auch! Ich war Verteidiger in der Jugend beim Augsburger EV, bis ich mich dann für den Fußball entschieden habe. Vielleicht haben wir sogar gegeneinander gespielt, wer weiß?“

Unflath lacht: „Wir können ja demnächst mal miteinander Golf spielen. Ich wette, du holst auch nicht weit aus, eben wie bei einem Schlagschuss beim Eishockey. Oder hast du demnächst keine Zeit mehr, weil du wieder Trainer wirst?“

Das Trainerdasein ist Geschichte, Fussball-Leidenschaft brennt weiter

Veh schließt aus, dass er noch mal als Trainer zu einem Verein zurückkehrt, als Geschäftsführer vielleicht. Aber nicht unbedingt. „Auch als Privatier wird mir nicht langweilig“, sagt er. „Ich gehe drei bis viermal die Woche ins Fitnessstudio oder spazieren mit meinem Hund Balou, einem Flatcoated Retriever. Zügig spazieren, Joggen geht nicht mehr mit meinem Fuß. Ich gehe zum Eishockey zum AEV und natürlich zum Fußball – auch zu Amateurspielen. Wenn Schwaben Ausgburg in der Tabelle oben steht, dann interessiert mich das einfach. Fußball ist meine Leidenschaft, und daran wird sich nie was ändern.“

Und doch sieht Veh – wegen seiner klaren, unverblümten Meinung auch als Experte im TV ein gern gesehener Gast – den deutschen Fußball kritisch. „Ich habe keine Lust, zu denen zu gehören, die sagen: Früher war alles besser. Das war es auch nicht. Aber der Fußball hat sich verändert. Ich sehe qualitätsmäßig einen Unterschied zur englischen Premier League. Und es gibt bestimmt acht Vereine, die für mich das Niveau nicht haben, das die Bundesliga haben sollte. Wenn ich die Bundesliga im TV schaue, ertappe ich mich oft dabei, dass ich umschalte, weil das Spiel anderswo schneller ist.“

Und Tempo ist die Würze, im Fußball wie im Rennsport. Apropos: Als das Gespäch über Fitness, Joggen und Ausdauer Richtung Marathon abbiegt, fragt Armin Veh: „Welche Zeit bist du in New York eigentlich gelaufen, Harry?“ Unflath antwortet: „Das war richtig anspruchsvoll, es ging immer rauf und runter. Über Brücken, durch die Hochhaus-Schluchten. 1,2 Millionen Menschen an der Strecke“, antwortet Unflath und man spürt seine Begeisterung: „Mit 4 Stunden und 20 Minuten war ich als Hobby-Läufer sehr zufrieden. Das größte sportliche Erlebnis, das ich persönlich je hatte.“

Darauf noch ein Schlückchen Weißwein. Prosit auf 2007!

Armin Veh in Kürze

Geburtstag 1. Februar 1961

Geburtsort Augsburg

Verheiratet mit der Schweizerin Helena, 2 gemeinsame Söhne

Berufe gelernter Immobilienkaufmann, Fußballtrainer und -manager

Stationen als Spieler
1979 FC Augsburg (7 Spiele/0 Tore)
1979–1983 Borussia Mönchengladbach (60/3)
1983/84 FC St. Gallen (18/0)
1984/85 Borussia Mönchengladbach (5/0)
1985–1987 FC Augsburg (47/13)
1987 TSC Schwaben Augsburg (15/1)
1987–1990 SpVgg Bayreuth (53/1)

Stationen als Trainer
1990–1995, 2003/2004 FC Augsburg
1996/97 SpVgg Greuther Fürth (2.-Liga-Aufstieg)
1998–2001 SSV Reutlingen (2.-Liga-Aufstieg)
2002/03 Hansa Rostock
2006–2008, 2014 VfB Stuttgart (Deutscher Meister 2007)
2009/10 VfL Wolfsburg
2010/11 Hamburger SV
2011–2014, 2015/16 Eintracht Frankfurt (Erreichen des UEFA-Pokals als Bundesliga-Aufsteiger 2012/2013)

Stationen als Funktionär
2017–2019 Geschäftsführer Sport beim 1. FC Köln

Auszeichnungen
2007 Kicker-Trainer des Jahres, Fußballtrainer des Jahres