Das Publikum in London und vor dem Fernseher hat am Samstag eine spektakuläre Rückkehr der Formel E nach London erlebt: Erstmals startete die rein elektrische Weltmeisterschaft auf einer Mischung aus Indoor- und Outdoorstrecke rund um die ExCeL-Arena im Osten der Hauptstadt Großbritanniens. Heftiger Regen am Morgen des Renntags sorgte für unberechenbare Streckenbedingungen und eine Lotterie im Zeittraining. Die Folge: eine bunt gemischte Startaufstellung mit Lucas di Grassi als Schnellstem seiner Qualifying-Gruppe auf Startplatz 7 und Teamkollege René Rast auf Position 13.
„Das Rennen heute war sehr von Strategie geprägt und bot unseren Fans mal wieder viel Action“, sagt Teamchef Allan McNish. „René und Lucas haben sich beide stark behauptet. Dazu haben unsere Ingenieure in der Box bei allen Herausforderungen den Überblick behalten. Am Ende sind wir mit den Plätzen fünf und sechs belohnt worden und haben den Rückstand auf unsere Rivalen im Titelkampf verkürzt.“
René Rast machte gleich nach dem Start einige Positionen gut und fuhr in die Punkteränge vor. Zusammen mit Lucas di Grassi fuhr der Deutsche ein fehlerfreies Rennen und wechselte sich dabei mit seinem Teamkollegen ab, wenn es um den Versuch ging, Konkurrenten zu überholen. „Das war heute ein guter Tag, aber auch ein verrücktes Rennen“, sagt René Rast. „Ich habe bei einigen Berührungen am Start ein paar Teile verloren, außerdem stand mein Lenkrad ein wenig schief, aber wir haben trotzdem acht Plätze gutgemacht. Das ist eine gute Ausgangsposition für morgen und die nächsten Rennen.“
Lucas di Grassi hatte bei beiden Aktivierungen des Attack-Modes Pech, weil er jeweils hinter einem Konkurrenten steckenblieb. „Mal haben wir Positionen gewonnen, dann wieder verloren – deshalb sind wir nicht so weit nach vorn gekommen wie gehofft“, sagt der Brasilianer. „Die Punkte heute sind dennoch extrem wichtig, denn ich habe noch nie einen engeren Titelkampf gesehen als drei Rennen vor Schluss in dieser Saison.“
Beim Sonntagsrennen haben Lucas di Grassi und sein Team in London für reichlich Gesprächsstoff gesorgt: Der Brasilianer war von Platz zehn gestartet und lag nach zwölf Runden auf dem neunten Platz. Als ein Unfall für eine Safety-Car-Phase sorgte, versuchte die Mannschaft einen strategischen Schachzug: Während das Feld hinter dem ungewöhnlich langsamen Safety-Car auf der Start-Ziel-Geraden blieb, fuhr die Grassi durch die Boxengasse, machte einen kurzen Stopp vor seiner Garage, kehrte als Führender zurück auf die Strecke und überquerte die Ziellinie als Erster.
„Das war eine gute Strategie des Teams, das eine Möglichkeit im Reglement erkannt und genutzt hat“, sagt Lucas di Grassi. „Angesichts der engen Konstellation im Titelkampf wollten wir keine Möglichkeit ungenutzt lassen.“ Einziger Schönheitsfehler: Der Audi e-tron FE07 kam bei seinem vom Reglement geforderten Stopp in der Boxengasse nicht vollständig zum Stillstand, weshalb di Grassi mit einer Durchfahrtsstrafe und später mit einem Wertungsausschluss belegt wurde.
Für René Rast war das Rennen bereits nach fünf Runden gelaufen, als er von Sébastien Buemi getroffen und sein Auto dabei stark beschädigt wurde. „Die Formel E hat sich dieses Wochenende wieder einmal von ihrer verrückten Seite präsentiert“, sagt Rast. „Erst wechselndes Wetter am Samstag und dann eine ganze Reihe harter Aktionen am Sonntag, die auch mich die Chance auf weitere Punkte gekostet haben. Das kann man nur abhaken und nach vorn schauen: In drei Wochen geht es darum, uns in Berlin wieder von einer anderen Seite zu zeigen.“ Buemi erhielt für die Kollision eine Strafe der Rennleitung.
„Wir sind ehrlich: Das war heute ein enttäuschender Tag für uns“, sagt Teamchef Allan McNish. „Wir haben mit Lucas einen strategischen Schachzug versucht, der vom Reglement erlaubt war und den auch schon andere Teams angewendet haben. Er ist leider nicht hundertprozentig aufgegangen und wir akzeptieren die Entscheidungen der FIA-Kommissare. René war auf einem guten Weg nach vorn und wurde durch die harte Gangart um Punkte gebracht.“ Rast liegt nach 13 von 15 Rennen mit 23 Punkten Rückstand auf Rang zehn der Meisterschaftstabelle, Teamkollege di Grassi folgt sechs Zähler dahinter auf Rang 13. In der Teamwertung belegt Audi Sport ABT Schaeffler Platz sechs.
Mit zwei Heimrennen am 14. und 15. August in Berlin geht die Formel-E-Reise für Audi zu Ende: Die Marke beendet ihr werkseitiges Engagement mit einem eigenen Team in der Serie und stellt sich mit der Rallye Dakar einer neuen motorsportlichen Herausforderung. „Obwohl noch alles möglich ist, blicken wir nicht in erster Linie auf die Tabelle“, sagt McNish. „Wir wollen uns in Berlin mit zwei starken Rennen und so vielen Pokalen wie möglich von unseren Fans verabschieden.“